Richard Eggers †

 

Er hat ein Lebenswerk von mehr als 6000 Ölgemälden hinterlassen, erhielt für sein unermüdliches Engagement das das Bundesverdienstkreuz am Bande, zählte Politgrößen wie Ex-Bundeskanzler Helmut Schmidt, Wirtschaftsbosse und  adelige Promis zu seinen Freunden.  Richard Eggers Werke sind bundesweit und über die Grenzen hinaus verstreut. Auch nach seinem Tod im Jahr 1995 lebt er in seinen Bildern weiter. Erinnerungen an einen großen Maler:

 

Ein Leben für die Kunst

Oder warum ein grüner Baum auch mal rot sein kann

 

Am 24. September 2005 wäre der Maler und Graphiker Richard Eggers 100 Jahre alt geworden, gut zehn Jahre nach seinem Tod am 14. Juni 1995. Weiterhin gilt er als der Maler des Alten Landes, auch wenn ein Großteil seiner Arbeiten auf der benachbarten Geest entstanden ist. Über viele Jahre sind seine Bilder durch die alljährlich Ende November in der Altländer Sparkasse in Jork stattfindenden Verkaufsausstellungen, eröffnet zumeist am Bußtag oder am Totensonntag, einem breiten Publikum vorgestellt worden. So konnte eine große Gruppe von Liebhabern seiner Arbeiten entstehen, der Eggers-Gemälde und -Linolschnitte vertraut wurden, selbst wenn sie nicht Käufer geworden sind. Auch nach seinem Tod haben seine Witwe Polly Eggers und die Altländer Sparkasse diese Tradition fortgesetzt, wenngleich der Neuheitswert der präsentierten Bilder geringer wurde. Hatte sonst ein Großteil der gezeigten Bilder aus der Produktion des jeweils vergangenen Jahres bestanden, so musste nun eine interessante Auswahl aus dem nachgelassenen Werk getroffen werden. Auch das war allerdings nicht schwierig, denn bei einem Œuvre von mehr als 6.000 Gemälden und einer großen Zahl von Linolschnitten ist trotz guter Verkaufszahlen ein noch immer beachtlicher, qualitätvoller Bestand verblieben, aus dem diese Ausstellungen gespeist werden konnten.

 

Die von diesem Katalog begleitete Ausstellung ist anders zusammengebracht worden. Da Richard Eggers über viele Jahre einen großen Kreis mehr oder weniger enger Freunde hat gewinnen können, die Arbeiten von ihm erworben haben, und es auch unter den öffentlichen Institutionen – Gemeinden, Sparkassenfilialen, Schulen – kaum eine gibt, die keinen „Eggers“ besitzt, war es nicht schwierig, durch Aufrufe in den Medien eine überwältigend große Anzahl von Bildern als Leihgaben angeboten zu bekommen. Mit ihnen ließ sich die gesamte Schaffenszeit dieses überaus kreativen Malers eindrucksvoll belegen.

 

Richard Eggers hat es über weite Strecken seines Lebens nicht leicht gehabt. Aber Beharrlichkeit und ein starker Wille zum Durchsetzen seiner Vorhaben, dazu eine offensichtlich optimistische Grundhaltung und die Fähigkeit, Freundschaften zu gewinnen und diese auch zu erhalten, haben dazu geführt, dass er nie aufgegeben hat, sondern an Schwierigkeiten gewachsen ist. Er wurde am 24. September 1905 als fünftes von sechs Kindern, vier Jungen und zwei Mädchen, des Klavierbauers Bernhard H. Eggers und seiner Ehefrau Christine, geb. Warnke, in Wilster geboren. Der aus Wolmersdorf südöstlich von Meldorf in Dithmarschen stammende Vater war von Haus aus Militärmusiker, konnte aber über etliche Jahre Engagements als Musiker auf großen Passagierschiffen erlangen, die ihm ermöglichten, so viel Geld zu sparen, dass er sich um 1900 in Wilster als Klavierkaufmann ansiedeln konnte. – Aus Wilster stammte die Mutter. – Aber schon kurz nach der Geburt von Richard Eggers zog die Familie nach Itzehoe. In dem dort etablierten Klaviergeschäft wurden nicht nur fertige Klaviere verkauft, sondern auch Klaviere aus gelieferten Teilen zusammengebaut, für die Bedürfnisse der Käufer hergerichtet und gestimmt. Richard Eggers besuchte in Itzehoe die Volksschule und wurde dann für drei Jahre Lehrling im elterlichen Betrieb in der Erwartung des Vaters, dass er diesen eines Tages übernehmen werde.

 

Schon mit spätestens acht Jahren hatte sich allerdings gezeigt, dass der Schüler besondere Freude am Zeichnen und am Malen mit Tuschfarben fand, die ihm durch einen Schulfreund in die Hände gekommen waren. Als ihn dann, Jahre später, der Vater nach der Lehre zur beruflichen Weiterbildung in Hamburg bei der Pianoforte-Fabrik G. Stapel schickt, nutzt er die Gelegenheit, drei Semester lang an der Kunstgewerbeschule am Lerchenfeld, der heutigen Hochschule für bildende Künste, Abendkurse für Zeichnen und Malerei zu belegen. Er besucht diese Kurse zwei- bis dreimal die Woche und erwirbt sich so Grundkenntnisse in Maltechnik, Farbenlehre, Komposition und Perspektive. Und selbstverständlich nimmt er dabei auch Auffassungen seiner Lehrer zu Zweck und Ziel von Malerei mit auf. Wer diese Lehrer sind, scheint nicht mehr in Erfahrung zu bringen zu sein. Fest steht nur – nach Eggers eigenem Bekunden – , dass Julius Wohlers (1867–1953) dazu gehört. Wohlers war eines der Gründungsmitglieder des Hamburgischen Künstlerclub von 1897. Schon seit 1901 war er zunächst „Hilfslehrer“ an der „Staatlichen Kunstgewerbeschule“, zur Zeit von Eggers’ Abendkursen ist er „Oberlehrer“ und 1926 wird er Professor für „Kopfzeichnen, Aktzeichnen, Interieur, Naturstudien und Studien im Museum“ (gemeint war das Museum für Kunst und Gewerbe).

 

Um die Jahrhundertwende hatte er zu jener künstlerischen Hamburger Avantgarde gehört, die sich in Fortentwicklung der Malerei der Schule von Barbizon südlich von Paris und des französischen Impressionismus einer hellfarbigen Freilichtmalerei in fein abgestimmter Tonigkeit mit besonderer Beachtung der oft leicht feuchten, dunstigen Atmosphäre der norddeutschen, speziell der unspektakulären heimischen Landschaft in der Umgebung Hamburgs zugewandt hatte. Neu außer der als schockierend empfundenen hellfarbigen Malerei („Spinat mit Ei“) und der als banal angesehenen Themen war damals für das Publikum und die Kunstkritik auch gewesen, dass sie ihre Bilder alla prima, also nass in nass ohne zwischenzeitlichen Trocknungsvorgang, ausführten und somit das Mischen der Farben nicht nur auf der Palette, sondern insbesondere auch beim Malen im Bild stattfand. Hier wird für Richard Eggers der Grund für sein Bekenntnis zur Freilichtmalerei und der Hinwendung zur Malerei einfacher, unspektakulärer Landschaftsausschnitte, Stillleben und Blumenbilder gelegt.

 

Allerdings: Nach dieser Phase der beruflichen Weiterbildung in Hamburg fordert ihn der Vater zurück nach Itzehoe in den Betrieb. Er muss Kunden besuchen, zumeist zum Klavierstimmen, und dafür bei Wind und Wetter oft weite Wege mit dem Motorrad zurücklegen. Das ist zwar unangenehm, bringt ihn aber der Landschaft nahe und trägt ihm manche Skizze ein. Die Familie sieht diese „Nebendinge“ nicht gern, hält sie für Verschwendung von Zeit, die man im Interesse des Betriebs besser nutzen könnte. (Die Familie besitzt im übrigen damals schon ein Auto, das Richard Eggers aber nur gelegentlich auch benutzen darf.)

Aber selbst in Itzehoe kann Richard Eggers wichtige neue künstlerische Anregungen erhalten. Dorthin hatte der Holzkaufmann Richard Biel 1907 den Maler, Graphiker, Kunsthandwerker und Architekturtheoretiker Wenzel Hablik (1881–1934) eingeladen, den er auf Helgoland bei dessen Rückreise von Sylt kennengelernt hatte, und ihm mäzenatisch Aufträge in seinem Betrieb verschafft. Hablik stammte aus Brüx in Böhmen, hatte in Wien an der Kunstgewerbeschule studiert und war schließlich 1907 über Kopenhagen zu Ferdinand Avenarius (1856–1923), den Herausgeber des „Kunstwart“, in Kampen auf Sylt gekommen. In Itzehoe zeigte er 1907 eine erste Einzelausstellung, 1911 stattete er das Wohnhaus von Richard Biel avantgardistisch aus, 1917 heiratete er die Weberin Elisabeth Lindemann und ließ sich dauerhaft in Itzehoe nieder, 1922 gestaltete er das Zentral-Hotel in Itzehoe um.

 

Richard Eggers hat das Wirken von Hablik in Itzehoe also von Anbeginn wahrgenommen und auch die teils heftig ablehnende Haltung der Itzehoer Bevölkerung gegenüber dieser eigenartigen Persönlichkeit und deren für viele befremdlich wirkenden Kunst zwischen Jugendstil und Expressionismus. Eggers war vor allem fasziniert von der überaus kräftigen Farbigkeit, dem zum Teil stark pastosen Farbauftrag und dem ihm ungewohnten vehementen Pinselduktus. Mindestens drei Mal habe er Hablik in seinem Atelier aufgesucht, berichtet er, und besonders beeindruckt hätten ihn Habliks „saubere Palette und seine kultivierten Halbtöne“. Der Nachklang dieses Farberlebnisses auf den damals schließlich noch nicht einmal 22-Jährigen wird, nutzbar gemacht für eigene Absichten, viele seiner Arbeiten über sein gesamtes Schaffen durchziehen. Als besonders treffendes Beispiel in dieser Ausstellung mag der „Torfstich“ von 1963 gelten.

 

Noch während seiner Klavierbauerzeit in Itzehoe lernt Eggers auch den Maler Albert Johannsen (1890–1975) in Husum kennen, Schüler der Kunstakademien in Weimar und Dresden, dort insbesondere bei Carl Bantzer (1857–1941), dem er nach dem Ersten Weltkrieg noch 1920 bis 1921 an die Akademie in Kassel gefolgt war. Johannsen wird Richard Eggers ein enger Freund und Berater und lenkt ihn entsprechend seiner eigenen Ausbildung in Weimar vor allem zu den Malern des französischen Impressionismus. Über ihn lernt Eggers den in München und gleichfalls in Weimar ausgebildeten Maler und Radierer Ingwer Paulsen (1883–1943) kennen, der damals schon endgültig sein Haus in Halebüll, direkt an der Nordsee nördlich von Husum, bewohnt. Und auch mit dem im Kleiseerkoog bei Niebüll lebenden Hans Peter Feddersen d.J. (1848–1941), ausgebildet in Düsseldorf und ebenfalls in Weimar, wird er durch Johannsen bekannt.

 

Diese Freundschaften und Be­kanntschaften bestärken Richard Eggers darin, sich gegenüber der Familie durchzusetzen und 1927 für eineinhalb Jahre zur künstlerischen Ausbildung nach München zu gehen. Er studiert dort an der privaten Malschule von Gustav Johannes Buchner (1880–1951) in den Fächern Zeichnen und Malerei und erfährt hier erstmals – von den doch eher etwas kursorischen Abendkursen in Hamburg einmal abgesehen – eine systematische Ausbildung. Buchner war an der Münchner Akademie unter anderem Schüler von Heinrich von Zügel (1850–1941) gewesen und malte besonders Landschaften im oberbayrischen Voralpenland, Tierstücke, darüber hinaus auch Figürliches, Porträts und Genreszenen. Seine Malweise, die er auch seinen Schülern vermittelte, folgte wie die Zügels der Tradition des deutschen Impressionismus, jedoch war sie im Unterschied zu jener Zügels flächiger, nuancenreicher und im Farbauftrag zarter. Eine Studienreise führte Eggers in dieser Zeit von München aus in die Schweiz mit Quartier in Morcote am Luganer See. Anschließend wechselt er nach Leipzig, um seine Ausbildung in der privaten Kunstschule von Lena Paczki-Mahrholz (1889–1944) fortzusetzen. Lena Paczki-Mahrholz hatte an der Weimarer Akademie studiert und war dort vor allem Schülerin des Landschaftsmalers Theodor Hagen (1842–1919) gewesen. Auch sie widmete ihre Malerei folglich vor allem der Landschaft, malte aber auch Stillleben und Bildnisse und vermittelte an ihre Schüler die in Weimar erhaltenen Anregungen aus dem dort – als einem der wenigen Plätze in Deutschland – hoch geschätzten französischen Impressionismus. Richard Eggers wird hier endgültig der Weg gewiesen zur Freilichtmalerei und der eigenen Auseinandersetzung eben mit diesem Impressionismus, den er zeitlebens besonders schätzen wird in den Werken von Édouard Manet (1832–1883), Claude Monet (1840-1926) und vor allem von dem bereits über den Impressionismus hinausweisenden Paul Cézanne (1839–1906). Sowohl in München als auch in Leipzig nutzt er die Gelegenheit, die Museen zu besuchen und auch dort besonders die Gemälde der von ihm verehrten Maler zu studieren. Nach einem halben Jahr allerdings muss er den Aufenthalt in Leipzig abbrechen; er wird zu Hause gebraucht und ist bis zum Tod des Vaters 1930 wieder als Klavierbauer in Itzehoe tätig.

 

Anschließend aber entscheidet er sich gegen die Nachfolge im elterlichen Geschäft und für das Leben als freischaffender Maler. Das zeugt von fast selbstzerstörerischem Mut, denn die wirtschaftliche Existenz ist dadurch absolut gefährdet. Unter bedrückendsten Verhältnissen lebt er kurzfristig in einer Schrebergartenbude, leidet unter der Enge dort, unter Hunger und Kälte, vermag kaum, sich das Material zum Malen zu beschaffen, und findet für seine Bilder – Pastelle mit Landschaften der Umgebung, die er zu kleinen Mappen zusammenstellt und an den Haustüren anbietet – trotz geringster Preise kaum Abnehmer. Um in der Nähe seiner friesischen Freunde zu sein und zu heiraten, zieht er nach Husum. Es ist die schlimmste Zeit der mit dem „Schwarzen Freitag“ an der New Yorker Börse am 24. Oktober 1929 begonnenen Weltwirtschaftskrise, die Verkaufschancen sind in Husum und Umgebung auch nicht besser, und natürlich können ihm die Freunde, denen es ebenfalls schlecht geht, auch nicht helfen. Nach der nationalsozialistischen Machtergreifung wird er zeitweilig mit zum Deichbau herangezogen, kann sich dem aber schließlich entziehen durch die Übersiedlung nach Jork im Alten Land. Zu diesem Schritt hatte ihm insbesondere Albert Johannsen geraten, der ihm bewusst machen konnte, dass der „Markt“ an der schleswig-holsteinischen Westküste für noch einen Maler zu klein sei, da es außer den bereits genannten Künstlern noch zahlreiche andere gäbe, die hier ständig lebten oder während der Sommermonate malten und auf Kundschaft hofften. Auf der anderen Elbseite aber lebten kaum Maler, so dass dort die Chancen, mit künstlerischer Tätigkeit seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, viel größer seien.

 

 So kam Richard Eggers 1935 nach Borstel und fand dort eine bescheidene Bleibe in der Kate eines Obsthändlers. Von dort stammte die Frau eines Bruders, der zunächst in Buxtehude und später in Rendsburg Heilpraktiker war. Einen „Markt“ fand er jedoch auch hier nicht vor. Die Altländer waren dem Erwerb von gemalten Bildern gegenüber äußerst zurückhaltend. Gelegentlich gelang es Eggers, ein Gemälde für 30 RM zu verkaufen, so dass er sich eine Weile über Wasser halten konnte. Entschädigt aber wurde er durch die Landschaft selbst: die blühenden oder fruchttragenden Obstbäume, die noch idyllischen langgestreckten Dörfer mit ihren giebelständigen reetgedeckten Fachwerkhäusern und den gepflegten Gärten, die grabendurchzogenen Weiden in den Schallen und den Elbsaum selbst, das alles unter hohem Himmel in stets wechselnden satten Farben.

 

Dass auf der niedersächsischen Elbseite keine Maler ansässig seien, war für das Alte Land zur Zeit des Rates von Albert Johannsen zwar zutreffend, nahezu gleichzeitig mit Richard Eggers zog aber auch das Ehepaar Otto und Ilse Rahm (1904–1994 bzw. 1906–1990) aus Hamburg nach Neuenkirchen. Otto Rahm hatte zuerst eine Banklehre absolviert und sich dann zunächst ähnlich wie Eggers mehr oder weniger autodidaktisch künstlerische Kenntnisse und Fähigkeiten angeeignet. Er stand dem Expressionismus nahe, und durch seine Freundschaft mit dem Hamburger Maler Hans Förster (1885-1966) dürfte er angeregt worden sein, ins Alte Land zu ziehen, da für ihn in Hamburg an einen Broterwerb mit seiner von der herrschenden nationalsozialistischen Kunstideologie nicht geduldeten Malerei nicht zu denken war und er hier bei der Altländer Sparkasse und als Landarbeiter ein bescheidenes Auskommen finden konnte. Als Maler allerdings wurde Otto Rahm erst nach dem Zweiten Weltkrieg tätig, wie auch seine Frau sich erst danach als Weberin einen Namen machte.

 

Auch wenn im Alten Land Maler bis dahin nicht ansässig geworden waren, hatte diese sehr besondere Landschaft doch schon früh Künstler fasziniert, nur wurden sie hier nicht sesshaft, und sie malten auch nicht oder nur in ganz seltenen Ausnahmefällen für die wohlhabendere Altländer Bevölkerung. Ihre Kundschaft war das Hamburger Bürgertum, und in vielen Fällen fanden sich durch Ausstellungen in anderen größeren Städten Deutschlands auch dort Käufer. Ein gewisses Problem stellte die schlechte Verkehrserschließung der niedersächsischen Elbmarschen dar. Der Landweg war überaus mühsam, so dass man auf das Schiff angewiesen war. Eine lange entbehrte Hamburger Elbbrücke, die aber nur dem Eisenbahnverkehr diente, wurde erst 1872 fertiggestellt, die Süderelbbrücke für den Fahr- und Fußgängerverkehr wurde erst 1899 eröffnet, und die Eisenbahnlinie von Hamburg nach Cuxhaven, über die Buxtehude, Neukloster, Horneburg, Dollern, Agathenburg und Stade als Ausgangsorte für das Aufsuchen des Alten Landes erreicht werden konnten, nahm erst 1881 den Betrieb auf.

 

Zu den frühesten im Alten Land nachweisbaren namhaften Malern gehören die dem Frührealismus zugerechneten Hamburger Brüder Günther (1803-1884), Jacob (1808-1845) und Martin (1811-1881) Gensler, von denen aus den Jahren 1827 bis 1838 Bilder und Skizzen aus Buxtehude und Umgebung überliefert sind. Möglicherweise waren gelegentlich auch ihre Lehrer, der aus Steinkirchen stammende Gerdt Hardorff (1769-1864) und Siegfried Bendixen (1786-nach 1864), dabei. Louis Gurlitt (1812-1897), Schüler von Günther Gensler und Siegfried Bendixen, zeichnete 1829 das Buxtehuder Geesttor, und Adolph Kiste (1812-nach 1846), ein anderer Schüler von Siegfried Bendixen, malte 1830 das Buxtehuder Marschtor. Der Hamburger Zeichenlehrer Johann Theobald Riefesell (1836-1895) zeichnete in den 1870/80ger Jahren mehrfach in Buxtehude und Umgebung , und von dem Hamburger Maler Hieronymus Christian Krohn (1843-1910) gibt es ein beeindruckendes Gemälde vom Lauf der Este mit den Häusern des Dorfs Estebrügge zu beiden Seiten und der Klappbrücke über den Fluss. Aber all diese Arbeiten sind doch nur seltene Belege für gelegentliche Studienfahrten Hamburger Maler nach Buxtehude und ins Alte Land.

Systematischer wurde die Gegend erst durch die Mitglieder des Hamburgischen Künstlerclubs von 1897 aufgesucht, die hier typische Motive der heimischen, Hamburg umgebenden Landschaft mit ihrer speziellen Atmosphäre und des Volkslebens in den damals noch als sehr ursprünglich empfundenen Dörfern malen wollten.

 

Von den Gründungsmitgliedern des Künstlerclubs waren es vor allem Thomas Herbst (1848-1915), Julius von Ehren (1864-1944), Julius Wohlers (1867-1953), Paul Kayser (1869-1942), Friedrich Schaper (1869-1956), Arthur Illies (1870-1952) und Arthur Siebelist (1870-1945), die oft gemeinsam, aber auch allein die Hamburg gegenüberliegende Elbseite aufsuchten, um dort Dorfstraßen, Flussläufe, Interieurs und gelegentlich die in ihnen agierenden Menschen zu malen. Ihnen folgten auch ihre Schüler, desgleichen einige Maler, die nicht dem Künstlerclub angehörten, ihm aber nahe standen, so insbesondere Eduard Steinbach (1878-1939). Sie alle aber hielten sich vor allem an Orte, die relativ einfach per Schiff zu erreichen waren und in denen sie preiswerte Quartiere bekommen konnten. So entstanden ihre Arbeiten gegen Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts, zum Teil auch noch bis in die 1930er Jahre vor allem auf Finkenwerder, das damals noch Insel war, an der Este von Cranz bis Königreich, Estebrügge und Moorende sowie an der Lühe insbesondere in Mittelnkirchen. Von Arthur Illies gibt es Arbeiten aus Moorburg, und auch in Altenwerder scheinen diese Maler gewesen zu sein. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass sie über die Schiffsverbindungen auch nach Borstel und Neuenschleuse gekommen sind, aber in den einschlägigen Publikationen findet sich nichts darüber. Es bestand dazu aber auch keine Notwendigkeit. Ihr Interesse galt nicht der Topographie oder der Volkskunde, sondern der einfachen, unspektakulären Thematik, dem besonderen Licht und der speziellen Atmosphäre in diesen Orten, und dieses Interesse wurde auf Finkenwerder und an der Este, beides relativ schnell erreichbar, voll befriedigt. Auf Finkenwerder und im Alten Land verblieben ist von diesen Arbeiten, soweit sich übersehen lässt, nichts oder fast nichts.

 

Ein weiterer Künstler, der bereits erwähnt wurde, muss hier noch genannt werden: Hans Förster (1885-1966). Er war durch das Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe und dessen Direktor Justus Brinckmann vertraut gemacht worden mit dem Jugendstil, japanischem Kunsthandwerk und japanischer Graphik und hingewiesen auf die Qualitäten der Volkskunst in den Marschlandschaften um Hamburg. Eine erste Ausbildung hatte er von 1902-1904 an der Hamburger Kunstgewerbeschule erhalten. Sodann hatte er sich fortgebildet bei dem in Berlin lehrenden Graphiker Emil Orlik (1870-1932), dem von japanischer Graphik stark beeinflussten bedeutenden Erneuerer des Farbholzschnitts, und unter dessen Einfluss wandte er sich selbst dem Farbholzschnitt in japanischer Technik und Feder- und Tuschpinselzeichnungen mit Themen vor allem aus den Vierlanden und dem Alten Land zu. Seine großformatigen Farbholzschnitte, entstanden etwa zwischen 1909 und 1920, sind seine bedeutendste künstlerischen Leistung; seine unendlich vielen schwarz-weißen Feder- und Tuschpinselzeichnungen lassen sich als – allerdings stark idealisiertes – volkskundliches Inventar auffassen, das, publiziert zusammen mit ausführlichen Texten, die volkskundlichen Verhältnisse insbesondere in den Vierlanden, auf Finkenwerder und im Alten Land einem breiten Publikum vertraut gemacht hat. Der 1922 erschienene Band über das Alte Land trägt den Titel „Altländer Fahrten“ und wurde offenbar auch im Alten Land selbst wohlwollend zur Kenntnis genommen. In Borstel erhielt Förster 1924 anlässlich einer Renovierung der St. Nikolai-Kirche den Auftrag, die Wandpaneele und die Wangen der Kirchenbänke mit Ornamenten und Figuren christlicher und weltlicher Thematik, zum Teil in Anlehnung an Altländer Motive, zu bemalen. (Försters Technik der schwarz-weißen Tuschpinselzeichnungen findet sich übrigens in Arbeiten von Richard Eggers’ Sohn Carsten wieder!)

Insgesamt aber waren die Erfahrungen der Bevölkerung des Alten Landes mit Kunst eher gering geblieben, als Richard Eggers von 1935 an versuchte, hier mit Malerei seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Um so wichtiger wurde es ihm, durch Studienreisen, die er sich vom Munde absparte, den Kontakt zu süddeutschen Studienkollegen nicht zu verlieren. In Ulm sagte ihm das künstlerische Umfeld besonders zu, so dass er bis 1941 Mitglied der Ulmer Künstlergilde wurde. Von den bei diesen Aufenthalten entstandenen Gemälden ist eine Straßenszene aus Ulm von 1939 in dieser Ausstellung zu sehen. Die meisten Arbeiten dieser Zeit entstanden allerdings von Borstel aus, die Ausstellung kann einige Beispiele präsentieren.

 

1939 wird Richard Eggers zum Kriegsdienst eingezogen. Kurz zuvor hatte er nach der sehr kurzen ersten Ehe in Husum, aus der sein bei ihm aufwachsender Sohn Olaf hervorging, in Jork zum zweiten Mal geheiratet und die Tochter Antje bekommen; aber die Ehe scheint schon sehr bald unglücklich verlaufen zu sein. Der Wehrdienst verschlägt ihn zunächst nach Rumänien in die Walachei. Glücklicherweise schätzen seine Vorgesetzten seine künstlerischen Fähigkeiten offenbar mehr als seinen soldatischen Nutzen, so dass sie ihm Malutensilien beschaffen für Porträts und Landschaftsbilder. Schließlich gerät er als Kriegsmaler an die Front in Russland. Auch hier sind seine Rötelzeichnungen und Pastellbilder in den Stäben sehr begehrt. Schlachtenbilder allerdings entstehen nicht. Wie sehr viele Maler, die die Gelegenheit erhalten, während des Kriegseinsatzes ihren künstlerischen Fähigkeiten nachgehen zu können, zeichnet und skizziert auch Richard Eggers außer zerstörten Siedlungen, wie von ihm erwartet, zumeist die unversehrte Landschaft, die verschonten Dörfer und Häfen in ihrer landestypischen Schlichtheit. Einige dieser Skizzen kann er ebenso wie etliche Photographien über die Gefangenschaft hinweg retten; nach seiner Heimkehr wird er mehrere der Skizzen in Gemälde umsetzen. Einer seiner Vorgesetzten im Stab des Armee-Nachschub-Führers ist Graf Carl August von Wettin, Erbgroßherzog von Sachsen-Weimar und Eisenach; die über die Kunst entstehende Freundschaft zwischen beiden Männern wird auch nach dem Krieg bis zum Tod des Erbgroßherzogs anhalten. Das Kriegsende erlebt Eggers in Frankreich. Dort gerät er in amerikanische Gefangenschaft. In einem Lager bei Marseille kommt ihm erneut zugute, dass sich Offiziere für seine Bilder interessieren, so dass ihm manche Vergünstigungen zuteil werden, die ihm das Überleben erleichtern. Im November 1945 kehrt er nach Jork zurück. Seine vor dem Kriegseinsatz zu Hause deponierten Bilder sind allerdings inzwischen verschenkt, die Malutensilien verschwunden, möglicherweise auch infolge der überall durch Einquartierungen von Evakuierten und Flüchtlingen bedingten räumlichen Enge.

 

Der Neuanfang ist entsprechend schwer. Aber ins Haus der Familie Eggers in Jork ist gegen Kriegsende die 22jährige schwangere Erika Sedelies, geb. Böhm, mit ihrer Mutter und der vierjährigen Tochter aus Liebstadt, Kreis Moringen / Ostpreußen, einquartiert worden, deren im September aus der Gefangenschaft folgender Mann noch im selben Jahr an seinem Kriegsleiden verstirbt. Da sie unter anderem eine gute Köchin ist, wird ihr schnell die Versorgung des gesamten Haushalts übertragen. Sie ­findet Gefallen an den Bildern von Richard Eggers und begleitet ihn ­gelegentlich auch bei seinen Malausflügen im Alten Land und auf der Geest. Die dabei erwachsende Freundschaft hindert Eggers in seinem Vorhaben, das Alte Land zu verlassen und sich wieder seinen einstigen Malerfreunden in Ulm anzuschließen. 1946 erfolgt die damals im Dorf noch als skandalös angesehene Scheidung von seiner Frau und 1949 die Heirat der jungen Witwe mit ihren beiden Mädchen Edith und Ingrid und der inzwischen geborenen gemeinsamen Tochter Christina. Seine Frau nennt Richard Eggers nach der kuragierten Bettlerchef-Tochter Polly Peacham aus Berthold Brechts und Kurt Weills „Dreigroschenoper“ aber nur mit dem Kosenamen Polly, und nur unter diesem Namen ist sie, die sich in den folgenden Jahren hohe Anerkennung erwerben wird, heute in der Gemeinde und bei Freunden bekannt. Mit ihren zusammen fünf Kindern hatten die beiden inzwischen eine kleine Wohnung in Westerjork bezogen, 1953 wird der Sohn Carsten geboren, der heute selbst ein über das Alte Land hinaus bekannter Maler und vor allem Bildhauer ist.

 

Als äußerst schwierig erweist sich besonders in der Zeit vor der Währungsreform die Beschaffung von Leinwand und Farbe, und auch an zusätzliche Lebensmittel ist für Außenseiter im Dorf damals ohne Tauschobjekte, die Eggers natürlich nicht zur Verfügung stehen, nicht heranzukommen. Richard Eggers gelingt es jedoch, das Interesse britischer Besatzungsoffiziere zu wecken und bei ihnen gegen Porträts Lebensmittel, Kaffee und Zigaretten für den eigenen Bedarf, für Freunde und als Tauschartikel zu bekommen. Auch Leinwand erhält er über sie, und Farben kann er durch einen Bekannten von der Hamburger Landeskunstschule am Lerchenfeld gegen – ebenfalls eingetauschte – Kirschen erwerben. Bis auf wenige Ausnahmen sind die Altländer dagegen sehr zurückhaltend bis abweisend. Schon 1948 allerdings wird die Besitzerin des „Fährhauses Kirschenland“ in Borstel-Wisch auf Eggers aufmerksam. Er hatte sich von ihr für ein Porträt eine Altländer Tracht ausgeliehen, und das Gemälde gefällt ihr so gut, dass sie es ihm abkauft und anbietet, einige seiner Bilder im ersten Geschoss ihres Gasthauses auszustellen. Dort werden sie von Mitgliedern des Hamburger Senats gesehen, der damals alljährlich einen Schiffsausflug zu einem Essen im „Fährhaus Kirschenland“ unternimmt. Für Richard Eggers bedeutet das den Durchbruch: Etliche seiner Bilder werden sogleich gekauft, und weitere sollten durch deren Resonanz in Hamburg folgen. Im Hamburger Bürgertum ist man eben, anders als im Alten Land, gewohnt, Bilder zu kaufen und dafür auch einen gewissen Preis zu zahlen, und die preisgünstigen Arbeiten von Richard Eggers stehen den immer noch beliebten Bildern der Mitglieder des Hamburgischen Künstlerclubs von 1897 nahe genug, so dass sie nicht fremd erscheinen. Über den Werbechef der Hamburger Hochbahn kommt es noch vor der Währungsreform auch zu einer ersten Ausstellung in Hamburg, die ihm vor allem etliche Banker zuführt.

 

Der finanzielle Erfolg durch Bilderverkäufe in Hamburg ermöglichte die Heirat und den Umzug in eine größere Wohnung über der Gaststätte Godenrath in Westerjork, bei der er sich, finanziell unterstützt vom Landkreis Stade und vom Land Niedersachsen, den Boden zum dringend benötigten Atelier ausbauen konnte. Er hatte inzwischen seinen eigenen Stil gefunden, war in Komposition, Farbwahl und Pinselduktus unverwechselbar geworden und konnte nun auch größere Bilder malen. Das galt natürlich vor allem für große Porträts, für Interieurs und Stillleben, aber auch für einige sehr große Landschaften, die die Möglichkeiten des Malens direkt vor der Natur überforderten. Auch konnte er in dem – letztlich doch relativ kleinen – Atelier bis zu 30 Bilder ausstellen, die er so Freunden und zunehmend auch von diesen mitgebrachten Altländern zeigen und sich so auch vor Ort bekannt machen konnte. Die Ausstellungsmöglichkeit im „Fährhaus Kirschenland“ blieb ihm erhalten, und verschaffte ihm so die Möglichkeit, von den vielen Ausflugs- und Tagungsgästen wahrgenommen zu werden, so dass er Bilder in immer größeren Radien außer nach Hamburg auch nach Schleswig-Holstein, West- und Süddeutschland verkaufen konnte. Im Herbst 1961 konnte er seine Bilder erstmals auch in der Mittelschule Altes Land in Jork präsentieren. Später gelangen viele Verkäufe auch über Ingenieure, die zwischen 1967 und 1972 beim Bau des Atomkraftwerks Stade tätig waren, über die engere Region hinaus.

 

Der somit sich nun auch einstellende wirtschaftliche Erfolg gestattet Eggers auch einige Studienreisen. Eine Reise in die Niederlande zusammen mit dem Evangelischen Kulturkreis Grünendeich 1956 hielt er selbst für besonders wichtig. Insbesondere der Besuch des Kröller-Müller-Museums in Otterlo im Naturpark De Hoge Veluwe südwestlich von Apeldorn und des Rijksmuseums in Amsterdam hinterließen einen nachhaltigen Eindruck. Bekannt ist das Kröller-Müller-Museum vor allem wegen seiner reichhaltigen Van-Gogh-Sammlung, es besitzt jedoch auch reiche Bestände an impressionistischer Malerei, und das Rijsmuseum in Amsterdam kennt zwar jeder wegen seiner Rembrandt-Gemälde, doch konnte Eggers dort auch erstmals Bilder von Cézanne und anderen der so geschätzten Impressionisten sehen und somit in allen besuchten Museen viele ihm sonst nur aus Büchern bekannte Bilder im Original studieren. In der Ausstellung wird die Beschäftigung mit den Bildern van Goghs besonders deutlich an einem Gemälde mit einem blühenden Baum am Deich aus diesem Jahr. 1957 waren die Eggers zum ersten Mal in der Lage, sich ein eigenes Auto aus zweiter Hand zu leisten, und das erweiterte den Aktionsradius zum Malen außerordentlich. Bilder entstanden jetzt auch in Schleswig-Holstein an der Schlei und an der Nordsee, und auch das Aufsuchen geeigneter Orte auf der benachbarten Geest wurde viel einfacher.

 

Eggers intensiviert nun auch wieder seine Kontakte nach Süddeutschland. Er wird wieder Mitglied der Ulmer Künstlergilde und tritt der Künstlergilde Esslingen bei. 1960 geht er auf die Einladung eines engen Freundes aus Münchener Studientagen, des Architekten Fritz Rüegsegger, zu einer Ausstellung in Zürich ein. Rüegsegger, der auch malte und unter anderem mit Pablo Picasso befreundet war, hatte ihn damals in den Semesterferien mit zu sich nach Hause genommen – das war die erwähnte Studienreise in die Schweiz – , und seitdem war die Freundschaft nie abgebrochen. Um nicht nur Bilder aus Norddeutschland zeigen zu können, reist Eggers mit seiner Frau Anfang September in die Schweiz und nach Norditalien, malt dort etwa einen halben Monat lang, rahmt die Bilder dann in Jork und kann seine Ausstellung schon am 3. Oktober im Vortragssaal des Züricher Kongresshauses präsentieren. Die Ausstellung ist so erfolgreich, dass sich weitere Ausstellungen in Küsnacht und Genf anschließen.

 

Diese Erfolge beflügeln Richard Eggers natürlich und spornen ihn zu noch größerer Aktivität an. Seine Frau ist ihm dabei unentbehrlich. Sie hilft, wann immer sie kann, und er erwartet ihren Rat. Und sie ist in der überaus geselligen, gastfreundlichen Familie die stets freundliche, nimmermüde Gastgeberin. Diese Geselligkeit führt zu einem großen Freundeskreis, der sich durch eigene Ankäufe zum Werk von Richard Eggers bekennt, so dass ihm nun auch im Alten Land und im weiteren Niedersachsen Ausstellungsmöglichkeiten und Aufträge zuwachsen. Es kommt zu Ankäufen für Schulen und Rathäuser und im Rahmen der staatlichen Künstlerförderung „Kunst am Bau“ zu Aufträgen für Sgraffiti, gefertigt in mehreren Schichten gefärbten Kratzputzes, in Schulen und anderen öffentlichen Gebäuden. Und 1965, zu Eggers’ 60. Geburtstag, ehrt ihn die Stadt Buxtehude mit einer großen, vom Kulturkreis Buxtehude und vom Evangelischen Kulturkreis Grünendeich um den Grünendeicher Pastor Wolf Dietrich Lochte angeregten Ausstellung in der Halepaghenschule, bei der mehr als 600 Personen zur Eröffnung kommen und über 2.500 Besucher in 14 Tagen gezählt werden; kein Wunder, dass Richard Eggers jetzt auch in der Bevölkerung des Alten Lands und insbesondere auch unter den Bauern Liebhaber seiner Bilder findet.

Inzwischen ist er unter den im Alten Land malenden und ihr Publikum suchenden Künstlern allerdings nicht mehr allein. Durch Evakuierung und Flüchtlingszustrom sind weitere Künstler in die Region gekommen. Dazu gehört von August 1944 bis zu seinem Tod am 4. September 1953 auch der hochbetagte Julius Wohlers, der nach der Ausbombung in Hamburg über Dodow in Mecklenburg und Himmelpforten 77jährig auf eigenen Wunsch nach Königreich gekommen war und dort in der Estebrügger Straße eine möblierte Zwei-Zimmer-Wohnung zugewiesen bekommen hatte. Hier kannte er einige Familien noch seit seiner Künstlerclubzeit, als er häufig an der Este gemalt hatte. Infolge geschwächten Gesundheitszustands und rapide schlechter werdender Augen hat er aber nur noch wenige Bilder gemalt, die er wie einen kleinen Restbestand älterer Gemälde über einen Hamburger Kunsthändler verkaufte. Ob Richard Eggers seinen einstigen Abendkurs-Lehrer jemals aufgesucht hat, konnte nicht in Erfahrung gebracht werden, aber möglicherweise hat er von dem sehr zurückgezogen lebenden Wohlers in unmittelbarer Nachbarschaft nicht einmal etwas erfahren.

 

Der bereits erwähnte Otto Rahm in Neuenkirchen hatte nach dem Krieg begonnen, im Alten Land und auf der Geest zu malen, stand allerdings dem Expressionismus näher und tendierte mehr zu abstrahierender figürlicher Malerei und freier Landschaftskomposition. Und in Buxtehude – später in Moisburg – malte seit Mitte der 1950er Jahre insbesondere Gerhard Quade (geb. 1931), der seine künstlerische Ausbildung von 1955 bis 1959 an der Hamburger Hochschule für bildende Künste erhalten hatte. Auch er nahm anfangs viele seiner Motive aus der heimischen Landschaft, die für ihn aber mehr die der Geest war, doch entfernte er sich mehr und mehr von realen Landschaftsausschnitten und verfremdete solche in expressionistischer Steigerung, so dass der Ort des Motivs keine Rolle mehr spielte. Mit beiden Künstlern kam Eggers anfangs gelegentlich zusammen, zumal auch sie Mitglied in der von Eggers mitbegründeten Bezirksgruppe Stade-Cuxhaven des Bunds bildender Künstler für Niedersachsen e.V. (BBK) wurden; er malte sogar mehrere Male zusammen mit ihren, doch Freundschaft wollte sich nicht einstellen. Das Verhältnis wurde vielmehr schnell von entschiedener Eifersucht geprägt, die vielleicht von Richard Eggers’ Seite nicht ganz unverständlich sein mag. Eggers fühlte sich als jener, der unter anfangs erheblichen Entbehrungen die Bevölkerung des Alten Landes für die Malerei aufgeschlossen hatte, und musste jetzt erleben, dass nicht nur ihm öffentliche Aufträge erteilt wurden, sondern dass etwa Entwürfe zu großen Wandkeramiken und Glasfenstern auch von Otto Rahm angeboten – und angenommen – wurden, und er vermutete, dass Graphiken von Rahm und Quade mit seinen eigenen Linolschnitten, die er neben den Ölbildern in größerer Zahl zum zusätzlichen Broterwerb fertigte, konkurrieren würden. Im Grunde waren diese Besorgnisse aber unbegründet, die Arbeiten aller drei Künstler waren zu unterschiedlich, als dass sie den Broterwerb des jeweils anderen hätten stören können.

 

Das Jahr 1965 ist für Richard Eggers ein Jahr großer Erfolge, und es wird zu einem Jahr der persönlichen Katastrophe: Bei der fast fertiggestellten Arbeit an einem großen Sgraffito an der Stirnwand der Altländer Festhalle in Jork stürzt er rücklings vom sieben Meter hohen Gerüst, dessen Geländer die Maurer in einer Arbeitspause wenige Meter verschoben hatten. Mehrere Brust- und Rückenwirbel sind gebrochen, eine Querschnittlähmung ist die bleibende Folge. Dem achtwöchigen Krankenhausaufenthalt in Buxtehude folgt eine weitere Behandlung im spezialisierten Unfallkrankenhaus in Hamburg-Lohbrügge, obwohl Eggers nicht Mitglied der Berufsgenossenschaft ist. Er ist ganz und gar verzweifelt, und nur seiner Frau ist es letztlich zu verdanken, dass er nicht den Mut verliert. Heimlich lernt sie Autofahren, macht die Fahrprüfung und überrascht ihren Mann mit der Zukunftsaussicht, dass sie ihn zu allen Plätzen fahren werde, die er zu Malen aussuchen würde. Und sie verfolgt mit kaum nachvollziehbarer Energie den Plan vom eigenen Haus mit Atelier, obwohl ihr Mann immer wieder einwendet, dass sie doch das erforderliche Geld nie würden aufbringen können.

 

Das Grundstück allerdings besaßen sie schon vor dem Unfall, und nun gelingt es Polly Eggers, alle nur denkbaren Geldquellen einschließlich ihr zustehender Zuschüsse als Flüchtling zu erschließen und alle nur denkbaren Freunde einschließlich des Stader Regierungspräsidenten für Hilfen bei Genehmigungsverfahren, Kreditgewährung und Bauzeichnungen zu gewinnen. Viele Leistungen können mit Bildern bezahlt werden, und infolge der großen Anteilnahme von Verwaltung, Politik und Bevölkerung können auch viele Bilderverkäufe dazu beitragen, eine ausreichende finanzielle Basis zu schaffen. Als Eggers im Krankenhaus nach ersten Gehversuchen angetragen wird, zur Beschäftigung Körbe zu flechten, entschließt er sich, lieber zu malen, und da das gelingt, ist das der Beginn eines neuen Malerlebens. Nach über zweijährigem Krankenhausaufenthalt kehrt er mit Krücken im Rollstuhl nach Jork zurück und kann dort in das erst provisorisch eingerichtete Haus einziehen, dessen Wohnräume mit einer Rampe in den Garten und damit auch zur Straße verbunden sind.

 

Mit einem Empfang am 24. April 1968 wird in dem neuen Haus unter Beteiligung einer großen Freundesschar eine ständige Ausstellung eröffnet, die besonders Arbeiten zeigt, die nach dem Unfall entstanden sind, darunter auch ein großes Triptychon zur Ehre Christi, dass er zu malen gelobt hatte, wenn er je wieder würde malen können. An jedem Sonntag ist das Atelier für Besucher geöffnet, und häufig ist Prominenz aus Politik und Wirtschaft darunter. Entscheidend für Richard Eggers aber wird, dass ihn Polly Eggers nun tatsächlich unermüdlich, wie versprochen, an alle Plätze fährt, an denen er malen will. Er ist damit nicht nur auf das Malen von Stillleben im Atelier oder von Blumen im eigenen Garten angewiesen, sondern kann, wie es immer sein Wille gewesen war, auch seine Landschaftsbilder in der freien Natur malen.

 

Allerdings kommt es mehr als in früheren Jahren zu Bildern von der Geest, aus der südlichen Umgebung von Buxtehude und Horneburg, vom Oberlauf der Este, aus dem Auetal und von dessen Rändern, so etwa aus dem Gebiet von Gut Daudiek südwestlich von Horneburg und auch aus der Heide; selbst in der Umgebung von Worpswede malt er. Eggers scheint der Verlust der einst von ihm so geliebten relativen Ursprünglichkeit in den Höfen und insbesondere in den Schallen des Alten Landes größer zu sein als in den Wiesen und Weiden, Feldern, Wäldern und Bachläufen der Geest. Die Baumaßnahmen nach der großen Sturmflut von 1962, denen unter anderem das Jorker Ortsbild zum Opfer fiel, die Einbeziehung der zuvor nur mit einem Sommerdeich geschützten Schallen in das vom neuen hohen Elbdeich geschützte Marschland, die 1974 vollendete Schließung der Borsteler Binnenelbe durch Siele an beiden Seiten und schließlich das Entfernen der Kirschbäume von den Deichen und der Ersatz der hohen und halbhohen Apfelbäume durch die kleinwüchsigen, dicht an dicht gepflanzten Stämmchen insbesondere seit den 1980er Jahren, die nun auch alle zuvor noch als Weideland genutzten Grünflächen bedecken, fördern seine Zuneigung zur als stiller empfundenen Geestlandschaft.

 

Die jährlichen Ausstellungen im eigenen Atelier, in denen vor allem die Frucht des jeweils letzten Jahres präsentiert wird, zeugen von ungemeinem Fleiß und Einfallsreichtum wie auch von gutem Verkauf des Vorjahrsertrags. Zu den Eröffnungen kommen aber zum Teil mehr als 300 Gäste in das Einfamilienhaus, so dass der Direktor der Altländer Sparkasse anbietet, diese Ausstellungen in Räume der Sparkasse zu verlegen. Richard Eggers widersteht jedoch; er möchte die private Atmosphäre nicht missen. Kurz vor seinem 70. Geburtstag 1975 erhält er aus der Hand des niedersächsischen Ministers für Wissenschaft und Kunst, Professor Dr. Joist Grolle, das Bundesverdienstkreuz am Bande, und den Geburtstag selbst feiert, begleitet durch einführende Ansprachen, erneut eine große Schar von Altländern im Eggers’schen Atelier.

Erst vom November 1977 an fanden sich Richard und Pollly Eggers endlich bereit, die alljährliche Ausstellung in der Altländer Sparkasse zu zeigen; der Kreis der an der Eröffnung Interessierten war entschieden zu groß geworden.

 

Seitdem sind diese Ausstellungen, wie eingangs erwähnt, zu einer ständigen Einrichtung und einem gesellschaftlichen Ereignis geworden, durchweg begleitet von kleineren Präsentationen befreundeter Kunsthandwerker und Kunsthandwerkerinnen.1979 stellte erstmals zusammen mit dem Vater der damals 23jährige Carsten Eggers aus. Verständlicherweise gibt es auch heute noch Ähnlichkeiten in den Bildern von Vater und Sohn, war doch der Sohn der einzige wirkliche Schüler von Richard Eggers, bevor er sich andernorts weiterbildete, jedoch gibt es auch deutliche Unterschiede, die hier nicht weiter ausgeführt zu werden brauchen. Das Unterrichten von Schülern, wie es etwa Gerhard Quade über viele Jahre im Rahmen der Volkshochschule in Buxtehude getan hat, ist Richard Eggers immer zuwider gewesen, obwohl er sich damit ein sicheres Zubrot hätte verdienen können. Es hätte ihn, wie er meinte, zu sehr von seiner eigentlichen Aufgabe, eben dem Malen seiner bewunderten und geliebten Umgebung, abgehalten. Das schloss nicht aus, dass ihm gelegentlich über die Schulter gesehen werden konnte.

 

Die Borsteler Bäuerin Emmy Stechmann gehörte zu jenen Bewunderern; sie durfte gelegentlich auch mit ihm zusammen malen, und so entstanden in enger Anlehnung an die Bilder von Eggers ihre eigenen Bilder für die Familie, Verwandte und Freunde. Und Hans-Dieter Ritter (geb.1940), Obstbauer, Maler und Betreiber der Galerie „Neue Diele“ in Hinterdeich / Mittelnkirchen, hat ihm gelegentlich als Kind und Jugendlicher zugesehen und ist durch ihn sicher zur Malerei angeregt worden, hat dann aber einen ganz anderen Weg des Zugangs zur Landschaft des Alten Landes gefunden. Auf den Sohn ist Richard Eggers außerordentlich stolz gewesen. „Ich kann in Ruhe abtreten, ich hab’ in Carsten einen würdigen Nachfolger gefunden“, sagte er seiner Frau schon Jahre vor seinem Tod, der ihn mit 90 Jahren am 14. Juni 1995 nach nur kurzer Krankheit aus ungebrochenem Schaffenswillen abberief.

 

Von sich selbst hat Richard Eggers, vermutlich 1965 noch vor seinem Unfall, gesagt: “Ich bin naturalistischer Maler, der stark im Impressionismus wurzelt. In den 40 Jahren meines Schaffens bin ich zu einer eigenständigen Aussage gelangt, in der sich meine Entwicklung vom Klavierbauer zum Maler, von den Tönen zur Farbe unverkennbar widerspiegelt. So wie jede Saite des Instruments auf die andere abgestimmt sein muss, so strebe ich diese Harmonie auch für die Komposition meiner Bilder an.

Ich neige nicht zu Sensationen, Dissonanzen und extravaganten Experimenten. Vielmehr strebe ich durch ausgewogene Kompositionen eine Interpretation der Natur an. Aus der Vielfältigkeit und dem Reichtum der Natur des niedersächsischen Raumes, dem ich mich trotz meiner Reisen durch viele Länder Europas innerlich tief verbunden fühle, wähle ich meine Motive.“

 

Der französische Impressionismus der 1860er und 1870er Jahre folgte einer relativ strengen Theorie, die auch spätere Malergenerationen weiter beschäftigte. Es ging weniger um die wechselnden Eindrücke des Motivs auf den Maler, als darum, die sich stets verändernden Erscheinungsweisen des Lichts auf den Objekten bzw. in der Landschaft ohne Rücksicht auf die Lokalfarben so objektiv wie möglich dergestalt in ihre farblichen Einzelbestandteile aufzulösen, dass in der Zusammensetzung dieser einzelnen Farberscheinungen wieder das Ganze entstand. In Deutschland ist man dieser strengen Theorie selten gefolgt, vielmehr bemühte man sich, zugleich die Atmosphäre zu erfassen und legte somit größeren Wert auf den Zusammenklang der differenzierten Valeurs einzelner Farben. Mit dieser Auffassung ist auch Richard Eggers zuerst an die Malerei herangeführt worden. Aber er hat weitere Einflüsse aufgenommen, die aus dem Expressionismus stammen. Über das Erlebnis im Atelier von Wenzel Hablik sagte er, den größten Eindruck auf ihn hätten dessen „saubere Palette, die kultivierten Halbtöne und die starke Farbigkeit“ gemacht. Eine „saubere Palette“ war auch mit der Malerei des französischen Impressionismus verbunden, und auch die kultivierten Halbtöne sind dort zu finden. Die starke Farbigkeit Wenzel Habliks aber ging weit über das dort Übliche hinaus. Zusammen mit dem heftigen Pinselduktus weist sie auf den Expressionismus, und in dieser Weise hat Richard Eggers „seinen“ Impressionismus weiterentwickelt.

 

Den Bildern der frühen Jahre merkt man die Suche nach dem eigenen Weg noch durchaus an. Eine sehr atmosphärisch stimmungsvoll aufgefasste „Sommerlandschaft“ auf einer Warft in Schleswig-Holstein von 1934 beispielsweise steht einem reinen Impressionismus sehr nahe. Das gilt auch für eine Weidelandschaft mit einer Wettern in Westmoorende von 1937 und insbesondere auch für die Straßenszene in Ulm von 1939. Ein Stillleben von 1936 und das Bild einer Wassermühle von 1938 weisen in der Vehemenz des Pinselschlags und im Verzicht auf das Ausmalen von Details auf den Expressionismus, und ein Fensterbild mit Ausblick auf Katen in Osterjork von 1936 lässt sogar an die Beschäftigung mit der Malerei der Neuen Sachlichkeit denken. Als Eggers aber nach dem Krieg wieder im Alten Land malt, findet er schnell zu jenem speziellen Stil, der letztlich über die gesamte Schaffensperiode kennzeichnend für seine Bilder werden sollte: Starke, klare Farbigkeit, erzielt durch ein reiches Spektrum „sauberer“ Farben sowohl direkt aus der Tube als auch zuvor auf der Palette zu Halbtönen gemischt in kräftigen Pinsel- oder Spachtelstrichen nebeneinander oder lasierend auf die weißgrundierte Leinwand oder – seit etwa Mitte der 1950er Jahre – die glatte Seite, wenig später aber auf die geprägte Seite einer Hartfaserplatte gesetzt, jedoch nie ineinander „verschmiert“, verhältnismäßig eng begrenzte Landschaftsausschnitte, die aber Weite durch große Tiefenwirkung erzielen, einfache, undramatische Motive, die aber dennoch überaus spannungsreich durch Komposition und Farbregie ins Bild gesetzt sind. Durchweg sind die Gemälde lichtdurchflutet, so dass sie oft geradezu Heiterkeit ausstrahlen und somit Zeugnisse für die Überwindung von Beschwerden und – im fortgerückten Alter – auch Hinfälligkeit sind. (Die von Eggers bei Hablik so gelobte und dann auch ihm selbst wichtige „saubere Palette“ war übrigens ein Erbe der Ausbildung Habliks von 1902 bis 1905 an der Wiener Kunstgewerbeschule unter anderem bei Carl Otto Czeschka (1878-1960), der von 1907 an Professor an der Kunstgewerbeschule in Hamburg war. Einem Schüler, der Interesse an der Wohlers-Klasse gezeigt hatte, soll er einmal gesagt haben: “Gehn’s nicht zu den Schmierern runter“.)

 

Wenn Eggers sich selbst als „naturalistischen Maler“ bezeichnet, so ist das nach der Terminologie der Kunstgeschichte nicht zutreffend. Naturalistische Malerei strebt danach, dem Naturvorbild möglichst nahe zu kommen, es gleichsam abzumalen letztlich ohne schöpferische Auseinandersetzung mit diesem. Das ist bei Eggers keineswegs der Fall, auch wenn er, wie er selbst sagt, nicht zum Problematisieren neigt. Seine Malerei ist eine realistische, also eine, die sich zwar an der Wirklichkeit der Gegenstände orientiert, aber eigene Ideen an sie heranträgt und das Bild somit parallel zur Natur unter der Erscheinungsweise des stets wechselnden Lichts nach eigener Auffassung vom Wesen einer Landschaft, einer Pflanze, einer Person schafft und somit eine ganz und gar individuelle Interpretation liefert.

Richard Eggers’ Bilder haben somit schon relativ früh ihre unverwechselbare Eigenart erhalten, und es gibt nur geringe stilistische Verschiebungen. Experimentieren und Problematisieren war Eggers’ Sache nicht. Sein Streben ging dahin – letztlich ähnlich wie die Hamburger Freilichtmaler –, die Natur „unverfälscht“ zu malen, allerdings wie er sie sah und empfand. Seine Kompositionen sind nach seinem Willen gebaut – die dabei erreichte Strenge ist das Ergebnis der Beschäftigung mit dem von ihm so geschätzten Cézanne, nicht etwa die Art der Malerei – , und die Farbigkeit ist nach seinem Erleben des Lichts in der Natur durch sein Auge gefiltert, wie bei den Impressionisten ohne Rücksicht auf die den Dingen anhaftenden Lokalfarben. Ein grüner Baum kann also auch blau oder rot erscheinen, Wasser grün, gelb oder violett. Und beim Gelb der Sumpfdotterblumen geht es nicht um die speziellen Blumen, sondern um das von ihnen reflektierte Gelb des Lichts in der Umgebung aller anderen Farben der Marsch. Immer schwingt auch Musikalität mit. Variationen sucht Eggers nicht darin, wie er seine Themen, etwa durch Stilwandel, malerisch bewältigt, sondern darin, was er malt, also in der Wahl seiner Motive. Darin allerdings ist er überaus vielseitig, und Wiederholungen findet man nicht. Gemutmaßter Stilwandel ist durchweg lediglich ein Stimmungswandel, so dass es eine gewisse Bandbreite zwischen farbig glühenden stark expressiven Bildern und weicheren, gedämpfteren gibt. Aber das kann am speziellen Motiv liegen, an der Witterung eines Sommers, an der eigenen Befindlichkeit oder der von Familienangehörigen. Möglicherweise gibt es einen leichten Wechsel seit dem Ende der 1980er Jahre – allerdings sind definitive Aussagen nicht möglich, dafür müsste man die Gesamtproduktion genauer überblicken: Es scheint, dass die Farbigkeit seit dem etwas weicher geworden ist, die Farben durch Deckweißbeimischung etwas gedämpft, etwas mehr ineinander vermalt und weniger hart gegeneinander gesetzt wurden.

 

Seine Motive fand Richard Eggers zunächst vor allem in der flachen Marschlandschaft des Alten Landes, an den Grabenkanten, am Elbsaum, in den kleinen Häfen, an den damals noch baumbestandenen Deichen, in den Schallen, in den Obsthöfen und in den noch von den traditionellen Häusern gesäumten Dorfstraßen. Schon zu Beginn seines Arbeitens von Borstel und Jork aus suchte er auch ihm zusagende Orte auf der Geest, an den Flussläufen und auf den Wiesen-, Moor- und Heideflächen dort auf, aber, wie ausgeführt, verschoben sich seit den 1960er Jahren die Gewichte. Die Entfernungen legte Eggers anfangs fast immer zu Fuß oder mit dem Fahrrad, dann auch mit dem Motorrad zurück, und fast immer war sein Frau dabei. Erst als ein Auto verfügbar war, wurde auch das zur Überwindung größerer Entfernungen mit benutzt; nach dem Unfall war es natürlich unentbehrlich. Neben den Landschaftsbildern entstanden immer auch Porträts, Stillleben, Interieurs und Blumenbilder. Die erstgenannten Gemälde aber blieben deutlich in der Minderzahl, anders als die Blumenbilder. Sie zu malen, bot sich besonders an, seit Eggers an den Rollstuhl gefesselt war. Wenn seine Frau keine Zeit hatte, ihn in die Landschaft zu fahren oder das Wetter dafür zu unbeständig gewesen wäre, war der eigene Garten ein Zufluchtsort. Denn seit dem schweren Unfall und der dadurch erzwungenen äußersten Einschränkung aller Aktivitäten war das Malen geradezu zu einem Akt der Selbsterhaltung geworden. Das Malen gab seinem Leben einen Sinn, einen ideellen und einen materiellen, denn er konnte damit die Familie ernähren, und die Blumenbilder ließen sich besonders gut verkaufen.

 

Gedacht für die Möglichkeit des preiswerten Erwerbs von Bildern aus dem Alten Land waren seine vielen durchweg großformatigen Linolschnitte. In ihnen nahm Eggers Motive der Gemälde auf und komprimierte sie ausdrucksstark auf das Schwarz-Weiß des Linolschnitts. Auf diese Weise konnte mancher Liebhaber Eggers’scher Bilder, dem die Gemälde zu teuer waren, wenigstens das eine oder andere dieser Blätter erwerben und sich so mit seiner Kunst beschäftigen. Dadurch, dass etliche der Linolschnitte auf Postkarten reproduziert wurden, trugen diese außerordentlich zur Popularisierung der Arbeiten von Richard Eggers bei. Wie viele solcher Linolschnitte entstanden sind, ist bisher nicht eruiert worden. Wie für seine Gemälde hat Eggers auch für seine Linolschnitte keinerlei Aufzeichnungen hinterlassen, die eine entsprechende Übersicht geben könnten.

 

Für die Region des Alten Landes ist die Bedeutung der Malerei von Richard Eggers kaum hoch genug einzuschätzen. Er erst verlieh mit seiner soliden, künstlerisch eigenständigen und letztlich auch kompromisslosen Malerei dieser Landschaft in der Welt der Bilder ein Gesicht. Und er gewann große Teile der Altländer Bevölkerung als erster dafür, sich überhaupt mit Malerei zu beschäftigen und somit auch für Arbeiten anderer Künstler empfänglich zu machen. Indem er in seinen Bildern die Schönheiten dieser Landschaft, so wie er sie sah, vor Augen führte, öffnete er auch manchem Bewohner des Alten Landes – Alteingesessenen wie Neubürgern – den Blick dafür und stärkte nach einer Zeit des eher sorglosen Umgangs mit diesem Erbe den Willen, mit ihm schonender umzugehen als zuvor. Immer sind es die Maler, die Landschaft sehen lehren. Ihre Bilder öffnen die Augen und lassen Landschaft nach den damit geschaffenen Prototypen sehen. In seiner autobiographischen Schrift „Italienische Reise“ notiert Goethe auf der Fahrt vom Brenner nach Verona am 11. September 1786: „Der Mond ging auf und beleuchtete ungeheure Gegenstände. Einige Mühlen zwischen uralten Fichten über dem schäumenden Strom [der Etsch] waren völlige Everdingen.“ Der holländische Maler und Radierer Allaert van Everdingen (1621-1675) hatte mit besondere Vorliebe einsame Gebirgslandschaften und Wasserfälle gemalt, die er vor allem in Norwegen kennen gelernt hatte. In einer Zeit, in der das Reisen noch überaus beschwerlich und auch gefährlich war, vermittelte er seinen Landsleuten in den flachen Niederlanden mit seinen Gemälden und noch mehr mit seinen weit verbreiteten Radierungen das Bild vom Hochgebirge, das deren Vorstellungen mehr als ein Jahrhundert lang prägen sollte. Durch solche Radierungen Everdingens stand dieses Bild auch Goethe bei seiner Reise noch vor Augen. In ähnlicher Weise prägte Richard Eggers das Bild vom Alten Land, mehr noch als von der nahen Geest.

 

Somit trifft auch auf ihn ein Satz von Joan Miró (1893-1983) zu, niedergeschrieben in einem seiner Notizbücher 1941 (übersetzt aus dem Spanischen): „Es ist nicht ein Kunstwerk, das zählt, sondern die Flugbahn des Geistes des Künstlers während seines ganzen Lebens, nicht in Bezug darauf, was er über die Jahre getan hat, sondern was er offenbar anregt und wozu dieses andere begeistern wird, in einer mehr oder weniger fernen Zukunft.“

 

 

 

 

Gerhard Kaufmann